Europäische anarchistische Erklärung zum 1. Mai 2025

Heute ist der 1. Mai, der internationale Kampftag der Arbeiter*innenklasse. 1886 streikten in Chicago Tausende für die Durchsetzung des 8-Stunden-Tages und wurden dafür von der Polizei angegriffen, massakriert und hingerichtet. Doch sie kämpften nicht nur für konkrete Reformen, sondern hatten das Ziel einer freieren und gerechteren Gesellschaft. In dieser Tradition stehen wir noch heute, wenn wir am 1. Mai als Arbeiter*innen auf die Straße gehen und die Fahne der Erinnerung und des Kampfes hissen. 

Der diesjährige erste Mai in Deutschland findet vor dem Hintergrund verschiedener gesellschaftlicher Debatten und Angriffe der Herrschenden auf bereits erkämpfte Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung statt. Besonders deutlich wird das an der im Koalitionsvertrag von CDU und SPD verankerten Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit, deren Erkämpfen den historischen Ursprung des 1. Mais darstellt. Dieser Vorstoß ist als massiver Angriff auf einen zentralen Arbeitsschutzmechanismus und auf die Arbeiter*innenklasse als solche zu verstehen. Er reiht sich ein eine fortschreitende Verarmung breiter Teile der Gesellschaft, die Erhöhung der Wochenarbeitszeit unter den Fittichen des DGBs, eine Verschärfung der Regelungen für Arbeitslosengeld-Empfänger*innen und den massiven Abbau von Arbeitsplätzen in der produzierenden Industrie. Die Gewerkschaften kuschen und ziehen sich zurück, handeln Deals aus die uns mit leeren Taschen zurücklassen, und das kommende Elend nicht einmal mehr verwalten. Von konstant hohen Preisen, zur Reduzierung von sozialer Infrastruktur und der Angst vor Arbeitslosigkeit sind wir konstant bedroht.

Parallel zu diesen Sozialstaatsangriffen vollzieht sich eine breite gesellschaftliche Militarisierung. Tagtäglich steigen die Rüstungsausgaben und werden mit fragwürdigen Manövern und einer breiten Front von CDU bis Grüne durchgesetzt. Währen die militärische Aufrüstung der BRD ihre materielle Form annimmt, wird die Gesellschaft nach Innen weiter diszipliniert. Die Vorbereitung einer neuen Wehrpflicht für die Jugend, das Einhämmern des Sparens für den Kriegsfall, die permanente mediale Propaganda der kriegerischen Notwendigkeit und einer patriarchalen Mentalität sind allgegenwärtig. Gleichzeitig geht die militärische Unterstützung von Kriegen, Genoziden und Massakern weiter, anderen Gesellschaften wird die Lebensgrundlage entzogen und der Widerstand dagegen massiv kriminalisiert. 

Währenddessen greift der Staat durch. Er schließt seine Grenzen um hinter einem rassistischen Diskurs die kapitalistisch Überflüssigen rauszuhalten, er inhaftiert Antifaschist*innen mit fadenscheinigen Begründungen, führt Scheinprozesse gegen ehemalige militante Revolutionär*innen und setzt den ganzen Repressionsapparat auf ebendiese an. Gleichzeitig werden Jugendliche, die sich gegen die imperialistische Politik der BRD wehren, mit polizeilicher Gewalt verfolgt und linke Strukturen auf breiter Ebene angegriffen und unter Druck gesetzt.

Diese Entwicklungen vollziehen sich nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, und überall stellen Arbeiter*innen und Revolutionär*innen dem Klassenkampf von oben ihren unermüdlichen Kampf für eine befreite Gesellschaft entgegen. Deshalb haben wir gemeinsam mit einigen europäischen Schwesterorganisationen eine Erklärung zum diesjährigen 1. Mai verfasst, die im Folgenden zu lesen ist. 

Für den Aufbau von Gegenmacht von unten! Für den anarchistischen Kommunismus! Heraus zum 1. Mai!

Gemeinsame europäische Erklärung – Es lebe der 1. Mai

Der 1. Mai darf nicht zu einer leeren Wiederholung oder einem allgemeinen „Tag der Arbeit“ degradiert werden; es ist wichtig, sich an seine authentischen Ursprünge in der Arbeiterklasse und im Internationalismus zu erinnern, um die Werte der Einheit, der Hoffnung und der Emanzipation, die die Geschichte des globalen Proletariats geprägt haben, wiederzuerlangen und zu bekräftigen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Ursprünge und die Geschichte des 1. Mai mit dem Kampf für den Achtstundentag verbunden sind – ein Kampf, der 1866 in den am stärksten industrialisierten Ländern Europas und der Vereinigten Staaten begann. Zwanzig Jahre später, 1886, eröffnete die Polizei in Chicago während der Protesttage, die am 1. Mai für die Verkürzung der Arbeitszeit begannen, das Feuer auf die Arbeiter vor einer Fabrik, wobei es Tote und Verletzte gab. Später kam es bei einer Protestkundgebung gegen das Massaker zu einer Provokation, die zu schweren, von der Polizei angezettelten Zusammenstößen und einer Bombenexplosion führte; diese Ereignisse, die durch falsche Zeugenaussagen unterstützt wurden, führten zur Verurteilung von fünf Gewerkschaftsführern zum Tode und zu langen Haftstrafen für drei weitere.

Diese Gewerkschafter – allesamt Anarchisten und eingewanderte Arbeiter (mit Ausnahme von Albert Parsons, der in den USA geboren wurde) – waren völlig unschuldig an den fiktiven Anschuldigungen gegen sie. Sie wurden am 11. November 1887 gehängt, obwohl es im ganzen Land zu Protesten kam. So wurden August Spies, Adolph Fischer, George Engel und Albert Parsons ermordet, während Louis Lingg sich vor seiner Hinrichtung im Gefängnis das Leben nahm. Samuel Fielden, Oscar Neebe und Michael Schwab wurden zu langen Haftstrafen verurteilt.

Der Kampf für kürzere Arbeitszeiten wurde jedoch nach einem anfänglichen Rückschlag durch die Ereignisse in Chicago und die anschließende Repression mit größerer Kraft wieder aufgenommen. Auf einem historischen Kongress, der 1889 in Paris stattfand, wurde für den 1. Mai des folgenden Jahres ein internationaler Protesttag zum Gedenken an die „Märtyrer von Chicago“ und zur Unterstützung des Achtstundentags ausgerufen.

Dank der zunehmenden Mobilisierung der Arbeiter:innenklasse kam es Anfang des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Ländern zu erheblichen Arbeitszeitverkürzungen, und zwischen 1917 und 1919 wurde der Achtstundentag in der gesamten europäischen Industrie zum Standard, auch aufgrund der Impulse der russischen Revolution.

Aber das heutige Gedenken an den 1. Mai darf nicht auf eine institutionelle Feier reduziert werden, die vom Konflikt zwischen Kapital und Arbeit und von den aktuellen Kämpfen losgelöst ist. Deshalb erinnern wir auch an den Widerstand des palästinensischen und kurdischen Volkes, an den Kampf gegen Militärbasen und die Ausbreitung des Militarismus in der Gesellschaft, an den Kampf gegen Waffenproduktion und -handel und gegen alle imperialistischen Kriege. Wir gedenken der Jugendlichen, die gegen Umweltverschmutzung und Arbeitsplatzunsicherheit protestieren; der FLINTA*, die für ihre Rechte in einer patriarchalen Gesellschaft kämpfen; der Arbeiter:innen, die gegen Entlassungen, für gerechte Löhne, Sicherheit am Arbeitsplatz und eine bessere Lebensqualität kämpfen; der Migranten:innen, die vor Krieg und Armut auf der Suche nach einer besseren Zukunft fliehen; und alle Menschen, die gegen das Wiederaufleben des Faschismus kämpfen, alle Grenzen ablehnen (denn „unsere Heimat ist die ganze Welt“) und sich für eine Natur und eine Menschheit einsetzen, die frei von kapitalistischer Ausbeutung in all ihren Formen ist – gegen Rassismus, Unterdrückung und alle Formen politischer und staatlicher Unterdrückung.

Unter allen Umständen: Es lebe der Widerstand gegen den Kapitalismus!

Mit der immer aggressiveren Einführung neuer Technologien und dem Aufstieg der so genannten künstlichen Intelligenz wird es immer dringlicher und notwendiger, den Kampf für eine umfassende Arbeitszeitverkürzung wieder aufzunehmen. Dazu gehören auch Forderungen, die über die nationalen Grenzen hinausgehen und für einen Durchschnittslohn eintreten, der dem Sozialdumping zumindest europaweit entgegenwirken kann. Es ist notwendig, mit Entschlossenheit für eine drastische Arbeitszeitverkürzung und deutliche Lohnerhöhungen zu kämpfen.

Deshalb ist der 1. Mai nach wie vor von großer Bedeutung – um wesentliche unmittelbare Ziele zu erreichen und den Marsch zur Befreiung aller ausgebeuteten und unterdrückten Klassen fortzusetzen. Und so gilt gestern, heute und morgen:

Es lebe der internationalistische 1. Mai!

☆ Alternativa Libertaria (AL/FdCA) – Italien
☆Die Plattform – Deutschland