Heute vor 209 Jahren geboren: In Erinnerung an Michail Bakunin

Michail Alexandrowitsch Bakunin wurde am 30. Mai 1814 im noch immer landwirtschaftlich geprägten russischen Zarenreich als eines von elf Kindern in Prjamuchino (Provinz Tvar) geboren.
Seine Familie gehörte zum wohlhabenden Landadel, die auf dem eigenen Familiengut über ca. 500 Leibeigene verfügte. Im Alter von 14 Jahren schlug er auf Wunsch des (im Grunde liberalen) Vaters die Laufbahn in der zarentreuen Armee ein, wo er schließlich bis zum Offizier aufsteigen sollte. Im Zuge dessen entfremdete sich Bakunin allerdings aufgrund der herrschenden Kasernen- und Schlachtfeldbrutalität zunehmend vom militärischen Geist und quittierte 1835 den Dienst.

Gegen den Willen der Familie zog er kurze Zeit später nach Moskau und nahm dort das Studium der Philosophie auf, in dessen Verlauf er sich stark für Kant, Hegel und Fichte interessierte und so auf die Denktradition der deutschen Philosophie stieß. Seine politische Radikalisierung nahm Fahrt auf, nachdem er zur Vorbereitung auf eine Moskauer Professorenstelle im Sommer 1840 nach Berlin ging und dort die endgültige Abkehr von der metaphysischen Philosophie zugunsten einer politischen Philosophie vollzog. Zu Beginn des Jahres 1842 führte ihn seine Reise schließlich nach Dresden, wo Bakunin u.a. Bekanntschaft mit dem Kommunisten Arnold Ruge machte und sich stark für den
Gegenstand des Sozialismus zu interessieren begann.

Nach ersten agitatorischen Auftritten und dem polarisierenden Artikel „Die Reaktion in Deutschland“, der in offener Feindschaft zu despotischen Herrschaftssystemen verfasst wurde, emigrierte Bakunin zunächst nach Zürich, wo er in radikalen Kreisen verkehrte und auch hier die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich zog. Als das russische Konsulat in Folge dessen die unmittelbare Heimkehr des autoritätskritischen Bakunin nach Russland forderte, floh dieser nach Brüssel, was die Aberkennung seiner Adelstitel und eine Verurteilung in Abwesenheit zu Zwangsarbeit nach Sibirien zur Folge hatte.

1844 schloss sich ein Aufenthalt in Paris an, wo er eine Freundschaft auf Lebenszeit mit dem Frühsozialisten und Mutualisten Pierre-Joseph Proudhon schloss und sich sein Weg erstmalig mit
dem von Karl Marx kreuzte. Von der französischen Hauptstadt aus agitierte und publizierte er öffentlichkeitswirksam anti-zaristische Positionen, was ihm 1847 auf Anweisung Russlands die
Ausweisung aus Frankreich einbrachte.

Mit der Februarrevolution von 1848 kehrte Bakunin erneut zurück nach Paris, um sich im dortigen revolutionären Klima an Barrikadenkämpfen zu beteiligen und die europaweite Ausweitung
der Erhebungen gegen die absolutistische Herrschaft zu propagieren. Es war der Beginn einer Phase, in der man Bakunin durchaus als „Berufsrevolutionär“ bezeichnen konnte: Ausgestattet mit
2000 Francs und falschen Pässen, machte er sich danach auf den Weg ins polnische Posen, um den dortigen Aufstand zu unterstützen, der jedoch bereits noch vor seiner Ankunft niedergeschlagen
wurde. Dies hinderte ihn nicht daran, in den folgenden Monaten an weiteren bedeutenden Revolten in Mitteleuropa teilzunehmen; so reiste er u.a. nach Prag, Breslau, Berlin und zuletzt in die
Stadt Dresden, wo Bakunin sogleich die militärische Führung der dortigen revolutionären Erhebung übernahm.

Die aufgrund seiner Prominenz und politischer Spannung kaum mehr zu vermeidende Festnahme am 10. Mai 1849 beendete zunächst die revolutionären Umtriebe des mittlerweile berüchtigt gewordenen Bakunins: Nach Haftaufenthalten in Dresden, Prag und Olmütz (Tschechien) kam er in Kerkerhaft nach Russland, wo sich sein Gesundheitszustand stark verschlechterte. Trotz seiner berühmten schriftlichen „Beichte an den Zaren“, mit Hilfe derer er um Hafterleichterung ersuchte, blieb er bis 1857 in Haft, bevor seine Strafe dank diverser Gnadengesuche seitens seiner Adelsfamilie in eine lebenslange Verbannung nach Sibirien umgewandelt wurde, wo er in der Stadt Tomsk seine spätere Frau Antonia Kwiatkowska kennenlernte und heiratete. Auf einer genehmigten Forschungsreise am Amur konnte Bakunin 1861 seinen Bewachern nach Jahren der Unfreiheit endlich in die Freiheit entfliehen.

Nach einer abenteuerlichen Flucht über Japan und San Francisco erreichten Bakunin und seine Frau 1861 London, wo Bakunin seine revolutionären Umtriebe sogleich fortsetzte und gemeinsam mit dem russischen Schriftsteller Alexander Herzen an dessen Zeitschrift „Die Glocke“ arbeitete, weitere internationale Beziehungen knüpfte und für Karl Marx das „Manifest der kommunistischen Partei“ erstmalig ins Russische übersetzte.

Bis zum polnischen Januaraufstand 1863 sah Bakunin in der Idee der nationalen Befreiungsbewegung die Chance einer endgültigen Abschaffung des Despotismus. Doch aufgrund des darin nicht enthaltenden Charakters einer sozialen Revolution, setzte er seine Hoffnung fortan in den revolutionären Anarchismus. Eben jene Idee artikulierte sich stark während der Folgejahre in Italien, wo er die Fraternité Internationale gründete, die als Vorläufer und Richtungsweiser der späteren organisierten italienischen anarchistischen Arbeiterbewegung zu betrachten ist. Er gründete außerdem die erste sozialrevolutionäre Zeitschrift Italiens, La Situazione italiana, und verfasste den „Revolutionären Katechismus“ (1866), die „erste Zusammenfassung seiner sozialistischen Ideen, an deren Kern er unverbrüchlich festhielt“ (M. Nettlau, Bakunin-Biograph).

1867 siedelte Bakunin nach Genf über, wo er an der Schaffung der Internationalen Liga für Frieden und Freiheit beteiligt war. Mit dieser brach er allerdings nur ein Jahr später, aufgrund ihrer nicht zu überwindenden Ausrichtung auf einen bürgerlich-demokratischen Sozialismus. Stattdessen wurde er Mitglied der bereits 1864 gegründeten Internationalen Arbeiterassoziation.

Noch einmal führte Bakunins Weg auf die Bühne internationaler Erhebungen im Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse, so geschehen im Lyoner Aufstand 1870; die Septemberrevolution in Spanien erfuhr ebenfalls seine agitatorische Unterstützung, wenn auch lediglich aus dem Ausland. Im Wesentlichen prägte zu jenen Jahren jedoch der ikonenhafte Streit zwischen Michail Bakunin und Karl Marx die historische Wahrnehmung im Kontext anarchistischer Betrachtungen. Dieser Konflikt wurde im Zusammenhang der Ersten Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) ausgefochten, innerhalb derer Bakunin stellvertretend für einen „antiautoritären“ libertären Sozialismus stand, wobei Marx den zentralistisch Flügel vertrat, der für die politische Okkupation anstelle einer direkten Überwindung des Staates stritt.

Nach dem Bruch mit dem Marxismus emigrierte er in die Schweiz und versuchte in seinen letzten Jahren den Anarchismus als eigenständige Strömung des Sozialismus zu integrieren, was sich vor allem in der italienischen Arbeiterbewegung widerspiegelte; es folgte sein Werk „Staatlichkeit und Anarchie“ (1873), sowie ein letzter gescheiterter Versuch einer Beteiligung an Barrikadenkämpfen in Bologna.

Im Alter von 62 Jahren erlag Bakunin am 1. Juli 1876 an einer Harnvergiftung und liegt seitdem auf dem Bremgartenfriedhof in Bern begraben.

Im April 1868 schrieb Bakunin an „La Democratie“ (Genf): „Möge uns also die Zukunft vor der Gunst des Despotismus bewahren, möge sie uns aber retten vor den verderblichen und verdummen-
den Folgen des autoritären, doktrinären oder Staatssozialismus. Seien wir Sozialisten, aber werden wir nie Herdenvölker. Suchen wir die Gerechtigkeit, die ganze politische, ökonomische und so-
ziale Gerechtigkeit nur auf dem Wege der Freiheit. Es kann nichts Lebendiges und Menschliches außerhalb der Freiheit geben, und ein Sozialismus, der sie aus seiner Mitte verstößt oder der sie nicht als das einzige schöpferische Prinzip und als Grundlage akzeptiert, würde uns ganz direkt zur Sklaverei und zur Bestialität zurückführen.“

Wir erinnern an Michail Bakunin als einen Genossen, der in der Frühzeit der anarchistischen Bewegung als Strömung der breiteren sozialistischen Arbeiter:innenbewegung, die Entwicklung der libertären Idee und ihre organisatorische Formierung und Festigung auf entscheidende Weise und über Jahrzehnte mitgeprägt hat. Seine vielfältigen Schriften bleiben Klassiker der anarchistischen Literatur und sein Lebensweg Inspiration für unzählige Anarchist:innen auf der ganzen Welt.