Jahresrückblick 2020

Rückblick auf das 2. Jahr unserer Organisation

Heute ist es genau zwei Jahre her, dass wir die Gründung unserer Organisation die plattform offiziell bekannt gegeben haben. Diesen zweiten Geburtstag wollen wir als Anlass nehmen, um zurückzublicken auf ein spannendes Jahr 2020 und um einen Blick nach vorne zu werfen auf die kommenden Kämpfe und den weiteren Aufbau der Organisation.

Für uns als die plattform begann das Jahr 2020 wie gewohnt ereignisreich: Nach einem Jahr des Aufbaus, in dem wir viel im deutschsprachigen Raum umhergereist sind, um unsere Initiative vorzustellen und neue Menschen kennenzulernen, konnten wir zum Jahreswechsel 2019/2020 offiziell die gelungene Gründung unserer ersten Lokalgruppen in Berlin, Rostock und im Ruhrgebiet verkünden.
Ende Januar stieß zu diesen drei auch noch eine vierte Lokalgruppe aus Trier hinzu. Gemeinsam mit unserer Überregionalen Gruppe, in der sich ab jetzt alle Mitglieder der Organisation versammelten, die bei sich vor Ort noch über keine Lokalgruppe verfügten, waren es nun fünf Gruppen, die sich in der Organisation föderierten.
Mit der Gründung der Lokalgruppen war ein weiterer wichtiger Schritt getan zum Aufbau einer überregionalen klassenkämpferischen anarchistischen Föderation nach plattformistischen Prinzipien.

Lokalgruppe Trier

Unser erklärtes Ziel war es, im neuen Jahr 2020 nicht nur den Aufbau unserer eigenen Organisation in dieser Richtung voranzutreiben, sondern auch in ersten Basiskämpfen vor Ort aktiv zu werden.

Die eigene Organisation aufbauen …

Um unsere Organisation sowohl inhaltlich als auch strukturell weiter zu stärken, kamen wir Anfang März diesen Jahres zu unserem zweiten Föderationskongress in Trier zusammen. In ausgiebigen Diskussionen tauschten wir unsere ersten Erfahrungen der Arbeit in sozialen Bewegungen aus und entwickelten erste strategische Eckpunkte für unsere regionale und überregionale Praxis.

Kongress in Trier

Um die positiven Entwicklungen, die wir auf dem Trierer Kongress gemacht hatten, weiterzutragen, traten wir im September in Berlin zu unserem dritten Föderationskongress – dieses Mal unter Pandemie-Bedingungen – zusammen. Hier gelang es uns, wichtige Leitlinien für die zukünftige Entwicklung der Organisation festzulegen und einige grundlegende Fragen zu klären.

Abseits der beiden Kongresse waren wir ebenfalls fleißig und setzten die Ausarbeitung unserer theoretischen Grundlagen in verschiedenen Bereichen fort.

In den ersten Monaten des Jahres unternahmen wir zudem einige weitere Reisen in Städte, die wir bisher noch nicht besucht hatten, um dort unsere Organisation neuen Leuten vorzustellen und interessierte Genoss*innen zu treffen.

Wie so vielem machte die Corona-Pandemie aber auch unserem Vorhaben, die Vortragsreihe wie geplant weiter durchzuführen, einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Veranstaltungen wurden abgesagt, Grenzen teilweise geschlossen.
Deshalb waren wir schon früh in diesem Jahr dazu gezwungen, als Organisation in einigen Dingen neue Wege zu gehen. So bauten wir zum Beispiel unsere Öffentlichkeitsarbeit in den sozialen Medien massiv aus, um den Wegfall der Vor-Ort-Veranstaltungen zumindest teilweise auszugleichen.
Auf unserem neuen YouTube-Kanal veröffentlichten wir schon bald eingesprochene Versionen unserer Texte und auch einige Aktionsvideos. Über den Lauf der Pandemie hat diese Art der Öffentlichkeitsarbeit für uns immer mehr an Bedeutung gewonnen und an vielen Stellen ist es uns gelungen, auch mit geringen Kapazitäten unsere mediale Arbeit zu professionalisieren und Hunderte neue Menschen auf unsere Arbeit und Inhalte aufmerksam zu machen. Bei all dem profitierten wir stark vom Zusammenfließen der Fähigkeiten von Genoss*innen aus unterschiedlichen Regionen und Städten.

(Ein Vortrag von uns über Anarchafeminismus)

Doch nicht nur unsere öffentliche Präsenz konnten wir stetig ausbauen, auch unsere eigene Schriftenreihe „Kollektive Einmischung“ entwickelten wir weiter. In diesem Jahr veröffentlichten wir Ausgabe Nr.4, ein FAQ mit Fragen, die wir bei unseren Vorträgen gesammelt hatten, und Ausgabe Nr.5, eine Übersetzung eines Texts zur Frage der Reformen. Beide Texte werden auch in Zukunft für unsere Organisation von großer Bedeutung sein.

Druck der KE4

Zudem legten wir die Grundlagen für eine weitere Schriftenreihe, mit der wir im nächsten Jahr an die Öffentlichkeit treten wollen. Es bleibt also spannend!

… und endlich rein in die Praxis …

Für unseren Organisationsansatz ist es zentral, dass sich die anarchistische Organisation an den Begebenheiten der sozialen Kämpfe anpasst, in die sie sich einbringt. Wir lehnen Diskussionen im sogenannten „Elfenbeinturm“ ab, denn der Grund, warum wir uns als anarchistische Kommunist*innen in die plattform organisieren, ist, dass wir gemeinsam aktiv werden wollen und unsere Aktivität in den Kämpfen überregional koordinieren möchten.

Nachdem wir 2019 also die organisatorischen Grundlagen von die plattform gelegt haben, war 2020 nun das Jahr, in dem wir mit unsere Arbeit in den Kämpfen vor Ort beginnen wollten. Schon zuvor waren wir in einigen sozialen Bewegungen aktiv gewesen, was wir nun stärker fokussierten und ausbauten.

BlackLivesMatter Protest in Dortmund

Im Laufe dieses Jahres waren die unterschiedlichen Lokalgruppen von die plattform unter anderem in feministischen Kämpfen, Klimakämpfen, Mietenkämpfen, Betriebsorganizing und antirassistischen Kämpfen aktiv. Zudem beteiligten wir uns in mehreren Städten an Solidaritätsnetzwerken während des ersten Lockdowns. In den Kämpfen knüpften wir an vielen Stellen den Kontakt zu anderen Menschen unserer Klasse und sammelten wichtigen Praxiserfahrungen, die in unser zukünftiges Handeln als Organisation einfließen werden.

(Playlist mit Aktionen aus diesem Jahr)

Klar ist aber auch: Die Corona-Pandemie erschwerte unsere Bestrebungen, in den Kämpfen vor Ort aktiv zu werden, enorm, weil viele Kämpfe zumindest teilweise „einschliefen“. Einen solchen Stillstand während einer Krise können nur gut organisierte Basisbewegungen der Lohnabhängigen auffangen, das hat die Pandemie uns nochmal sehr deutlich vor Augen geführt. Deshalb muss es für uns darum gehen, solche Basisbewegungen zukünftig mit anderen Menschen unserer Klasse aufzubauen. Denn nur, wenn es die Basisbewegungen gibt, können wir uns gegen die jetzigen und noch kommenden Angriffe der Herrschenden auf unsere Lebensverhältnisse wehren und uns für ähnliche Krisen in der Zukunft wappnen.

Auch wenn wir es in diesem Jahr, hauptsächlich wegen der Pandemie, nicht geschafft haben, so stark in die Praxis zu gehen, wie wir es geplant hatten, blicken wir auf wertvolle Erfahrungen und tolle Momente zurück. Besonders müssen wir dabei an den beeindruckenden Streik der Spargelarbeiter*innen bei Bornheim denken, den wir begleiteten und auch an die vielen „Black Lives Matter“-Kundgebungen in diesem Sommer, die zeigten, dass auch im deutschsprachigen Raum viele von Rassismus betroffene Menschen bereit sind, für ihre Interessen auf die Straße zu gehen.

… aber nicht ohne einen kritischen Blick auf die eigenen Strukturen!

Seit unserer Gründung vor zwei Jahren erheben wir als die plattform den Anspruch, eine anarchafeministische Organisation zu sein. Von Anfang an war klar, dass wir dabei nicht bei schicken Worthülsen in öffentlichen Erklärungen stehen bleiben dürfen. Stattdessen muss unser anarchafeministische Standpunkt in unsere tägliche Arbeit in den sozialen Bewegungen und innerhalb der Organisation einfließen. Nur so können wir die männlich* dominierten Strukturen, die immer noch die linke und auch die anarchistische Bewegung prägen, zum Thema machen, aufbrechen und langfristig überwinden.

Im Jahr 2020 haben wir diese wichtige Aufgabe endlich stärker in den Fokus genommen. Dazu haben wir beispielsweise in mehreren Lokalgruppen regelmäßige Treffen eingerichtet, die Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konstrukt Männlichkeit* bieten. Auch haben wir endlich damit begonnen, ein konkretes Awareness-Konzept für unsere überregionale Arbeit in der Organisation zu erarbeiten und umzusetzen. Unsere Öffentlichkeitsarbeit haben wir stärker nach feministischen Gesichtspunkten ausgerichtet und nehmen das Thema nun wesentlich öfter in den Fokus als zuvor.
Ebenfalls in den Fokus genommen haben wir die kritische Auseinandersetzung mit Kadern innerhalb unserer Organisation, die bekanntlich oft mit einer Kritik der männlichen* Dominanz zusammenhängt.

Klar ist: Das war nur der Anfang, das waren wenige erste, aber wichtige Schritte. Auf diesen gilt es 2021 aufzubauen, um unsere Organisation zugänglicher und sicherer für alle Menschen zu machen, die von der patriarchalen Unterdrückung betroffen sind.

Wir sind nicht alleine – klassenkämpferischen Anarchismus weltweit organisieren!

Für uns war das Jahr 2020 ganz besonders geprägt vom intensiven Kontakt zu befreundeten Organisationen unserer plattformistischen/especifistischen Strömung.
Standen wir Anfang 2019 unserem Gefühl nach noch ziemlich alleine auf weiter Flur, veränderte sich das im Laufes diesen Jahres.

Wir knüpften enge Kontakte zu Organisationen aus Europa, aber auch aus Lateinamerika und anderen Teile der Welt. Gemeinsam mit ihnen diskutierten wir, tauschten Erfahrungen aus und veröffentlichten mehrere gemeinsame Erklärungen. Es macht uns froh zu wissen, dass wir nicht alleine mit unseren Idealen und unserer Vision einer anderen Gesellschaft stehen, sondern, dass andere Menschen in vielen Teilen der Welt unsere Gedanken teilen und eine ähnliche Vorstellung davon haben, wie eine herrschaftsfreie Gesellschaft aufgebaut werden kann.

Im Austausch mit den Genoss*innen haben wir schon jetzt viel gelernt und wir sind uns sicher, dass sich die produktive Zusammenarbeit fortsetzen wird.
Neben der Kooperation mit unseren Genoss*innen aus aller Welt haben wir an einzelnen Beispielen unseren Grundsatz der grenzenlosen Solidarität bereits in die Tat umgesetzt. So sammelten wir im Laufe des Jahres insgesamt mehrere hundert Euro an Spenden, erst für den Erhalt eines libertären Nachbarschaftszentrums in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota und dann für die Unterstützung von kämpfenden Anarchist*innen in Belarus. Auch hier wollen wir zukünftig noch aktiver werden.
In diesem Sinne: Grüße an all unsere Freund*innen weltweit! Es lebe der organisierte Anarchismus!

Rückschläge und Erfolge

Dieses lange Jahr 2020 lässt uns mit keinem einfachen Fazit zurück. Die Corona-Pandemie hat den Aufbau unserer Organisation in einer immer noch empfindlichen Phase getroffen und viele wichtige Entwicklungen gehemmt oder sogar verhindert. Auch haben einige Menschen unsere Organisation wieder verlassen, teilweise aufgrund persönlicher, teilweise aufgrund inhaltlicher Differenzen (an dieser Stelle: Viel Glück euch, was auch immer ihr macht!). Unsere Praxis konnten wir nicht so ausgestalten, wie wir es uns vorgestellt hatten.

Und dennoch blicken wir unterm Strich auf ein weiteres erfolgreiches Jahr des Aufbaus unserer Organisation zurück. Wir sind weiter gewachsen und fast noch wichtiger: weiter zusammengewachsen, sowohl auf persönlicher als auch auf inhaltlicher Ebene.
Wir haben unsere Beziehungen zueinander vertieft und gestärkt, viele neue Genoss*innen kennengelernt und mit ihnen in Kämpfen neue Erfahrungen gesammelt. Wir haben aufwändige Projekte erfolgreich durchgeführt und Probleme gemeinsam gelöst. Wir sind, wie wir es uns vorgenommen hatten, in diesem Jahr in die sozialen Bewegungen gegangen und haben uns in den Kämpfen unserer Klasse engagiert.
Unser Projekt, das wir 2019 ins Leben gerufen haben, um eine dritte anarchistische Föderation im deutschsprachigen Raum aufzubauen, hat mittlerweile deutlich Gestalt angenommen und sich in der anarchistischen Organisationslandschaft unserer Region verankert.
Uns erfüllt diese Entwicklung mit Stolz, aber auch mit Demut vor den kommenden Aufgaben.

Ein Blick nach vorn

Wir sollten uns nicht selbst täuschen: Trotz aller Erfolge, die Aufgaben, die vor uns als Organisation liegen, sind immens und alles sieht danach aus, als ob Kapitalismus, Staat, Patriarchat und Rassismus auch 2021 nicht einfach kampflos das Feld räumen werden.
Das Krisenmanagement der Herrschenden stellt in vielen Belangen einen Angriff auf die Lebenssituation der Lohnabhängigen dar. Wenn wir uns gegen die Angriffe von oben nicht zu Wehr setzen, werden wir massive Einschnitte unserer Lebensqualität hinnehmen müssen. Den Widerstand dagegen gilt es zu organisieren, egal ob im Betrieb, im Viertel oder auf der Straße.

 

Aber nicht nur gegen das Krisenmanagement der Herrschenden müssen wir kämpfen, auch an anderen Fronten bläst uns der reaktionäre Wind massiv entgegen: Der Kapitalismus steuert unseren Planeten beharrlich weiter in den Klimakollaps, das Patriarchat bleibt eine mörderische Bastion sozialer Unterdrückung und der Rechtsruck bleibt Realität.

Grund genug für uns alle, den herrschenden Zuständen nicht mehr länger nur von der gesellschaftlichen Seitenlinie aus zuzusehen. Stattdessen müssen wir uns als revolutionäre Anarchist*innen in den Kämpfen unserer Klasse beteiligen und mit anderen Lohnabhängigen für unsere Interessen kämpfen.
Damit unsere Handlungen mehr werden als nur Tropfen auf den heißen Stein brauchen wir eine Organisation, mithilfe derer wir unsere Aktivitäten koordinieren können.

 

 

In den zurückliegenden zwei Jahren haben wir die Grundlagen einer solchen Organisation geschaffen. 2021 wird es darum gehen, von diesen Grundlagen aus die plattform weiter aufzubauen und unser Engagement in den sozialen Kämpfen weiter zu stärken.

Um das tun zu können, wollen wir wachsen und mehr werden, egal ob in den großen Städten oder in den kleinen Dörfern! Wenn wir dich also neugierig gemacht haben, dann melde dich doch einfach per E-Mail unter kontakt@dieplattform.org bei uns!

Was 2021 bringen wird ist noch ungewiss, klar aber ist, dass wir auch in den nächsten 365 Tagen den Kampf für die herrschaftsfreie Gesellschaft unermüdlich fortsetzen werden. Das erscheint uns angesichts der herrschenden Zustände alternativlos.

Auch 2021 ist nicht das Ende der Geschichte: Weiter fragend voran zur sozialen Revolution!