„Wir haben den Anspruch eine dritte Föderation aufzubauen.“ Interview mit der Direkten Aktion

Wir freuen uns sehr euch dieses Interview der Direkten Aktion, Online Zeitschrift der Freien Arbeiter*innen Union, mit uns zeigen zu können! Danke an die Genoss*innen der Direkten Aktion:

dieplattform.org – seit Ende letzten Jahres ist diese Internetpräsenz aufgetaucht. Die Initiative „die plattform“ vermittelt den Anspruch wieder neuen Wind in die anarchistische Bewegung zu bringen. Es ist eine gewisse Unzufriedenheit heraus zu hören mit ihrem aktuellen Zustand. Wie sich recht einfach herleiten lässt, beziehen sich die Initiator*Innen auf die Ideen des Plattformismus und wollen eine Organisation nach anarchokommunistischen Prinzipien ins Leben rufen. Kann dies eine weitere Größe des deutschsprachigen Anarchismus neben der FdA (Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen) und der FAU (Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union) werden? Zumindest innerhalb der FAU hat es schon lebhafte Diskussionen gegeben. Die Meldung wurde in der Regel positiv aufgenommen. Grund genug für die DA-Onlinezeitung mit K´ura von der plattform ins Gespräch zu kommen.


WIE KAM ES ZUR IDEE „DIE PLATTFORM” INS LEBEN ZU RUFEN – GAB ES GAR EINEN AUSLÖSER

Ausgangspunkt war sicherlich eine sich über Jahre aufbauende Unzufriedenheit mit dem Zustand der anarchistischen Bewegung. Das haben wir ja auch ausführlich in unserem Text geschildert. Im Kontext des sich zuspitzenden weltweiten Autoritarismus der unterschiedlichen Ausprägungen, macht es uns geradezu wahnsinnig gleichzeitig in einer gesellschaftlich marginalisierten Position zu sein. Wir müssen uns dringend jetzt organisatorisch und inhaltlich besser aufstellen. Denn wir leben im deutschsprachigen Raum noch in vergleichsweise ruhigen Zeiten. Nur so werden wir den Aufgaben, die in Zukunft auf uns zukommen werden, gerecht. Und damit wir Einfluss darauf nehmen können, wohin sich die Gesellschaft entwickelt. Dabei sind wir auf das Konzept des Plattformismus gestoßen und haben uns durch dieses bereichern lassen. Uns ist wichtig an dieser Stelle zu betonen, dass wir uns als Ergänzung des anarchistischen Kampfes betrachten. Wir wünschen uns ein solidarisches Verhältnis zu bereits bestehenden anarchistischen und antiautoritären Gruppen. Nichts liegt uns also ferner, als anderen Ansätzen ihre Berechtigung absprechen zu wollen. Nur durch eine Vielseitigkeit der Ansätze und Methoden werden wir breite Teile der Bevölkerung erreichen.


IHR BEZIEHT EUCH AUF DEN PLATTFORMISMUS – EINE ANARCHISTISCHE STRÖMUNG, WELCHE IHRE URSPRÜNGE IN DEN 20ER JAHREN (NESTOR MACHNO UND ERRICO MALATESTA) HAT. KÖNNT IHR MAL KURZ ERKLÄREN, WAS PLATTFORMISMUS EIGENTLICH IST?

Kurze Einordnung zu Beginn: Errico Malatesta, den ihr ja auch genannt habt, war damals zunächst ein Kritiker des Plattformismus. Er hatte mit dem Plattformisten Nestor Machno einen längeren Briefwechsel, in dem sie sich über den Entwurf der Plattform austauschten (“Organisationsplattform der Allgemeinen Anarchistischen Union (Entwurf)”von 1926). Zu Beginn der Debatte meinte Malatesta, dass die “Tendenz” des Dokuments ein Stück weit “autoritär” sei. Im Verlauf erkannte er dann jedoch an: “Wenn ich lese, was die Genossen…sagen…, befinde ich mich mehr oder weniger in Übereinstimmung mit der Weise, wie sie die anarchistische Organisation begreifen, … und ich bekräftige meine Überzeugung, dass sich hinter den sprachlichen Differenzen in Wirklichkeit identische Positionen verbergen.” (Siehe: Schwarze Flamme, 329-330)

Das aber nur zur Richtigstellung. Um zur eigentlichen Frage zu kommen: Was ist Plattformismus? Die Kerngedanken sind:

  • Einheit von Theorie und Praxis: Alle Mitglieder der Organisation teilen eine gemeinsame theoretische Grundlage. Aus der gemeinsamen theoretischen Grundlage erwächst die Praxis. Und die Erfahrungen aus der Praxis fließen wieder in die Weiterentwicklung der theoretischen Grundlagen ein;
  • gemeinsame Ziele und Strategien, die sich aus der theoretischen Grundlage ableiten;
    föderalistischer Aufbau der Organisation. Das bedeutet im Zusammenschluss dezentraler Gruppen, welche ihr Handeln auf das Erreichen gemeinsamer Ziele der Föderation ausrichten auf Grundlage der freien Vereinbarung;
  • kollektives Handeln mit gemeinsamer Verantwortung dies meint, dass jedes Mitglied hinter allen Tätigkeiten der Organisation steht. Und dass alle Mitglieder der Organisation Verantwortung für das Gelingen und Umsetzen der Aufgaben jedes einzelnen Mitglieds übernehmen.;
  • aktives Mitwirken in gesellschaftlichen Bewegungen sowie sozialen Kämpfen.

Darüber hinaus teilen plattformistische Gruppen eine anarchokommunistische Ausrichtung. Wir haben uns für unsere Organisation noch auf eine zweite für uns gleich bedeutsame Strömung verständigt: Den Anarchafeminismus. Wer hier tiefer einsteigen will, dem sei neben unserem eigenem Text auch der bereits erwähnte Entwurf der Plattform von 1926 empfohlen (bei dem wir jedoch auch unsere Kritikpunkte haben).

WARUM BRAUCHT ES EINE ORGANISATION WIE “DIE PLATTFORM” NOCH?

Der Plattformismus bietet unserer Ansicht nach spannende Lösungsvorschläge für die bestehenden Probleme des Anarchismus in unserer Region und natürlich auch darüber hinaus. Es fehlt im deutschsprachigen Raum eine rein anarchokommunistische Organisation. Anarchafeministische Ansätze sind ebenso unterrepräsentiert und nur unzureichend ausgearbeitet. Ein Konzept wie wir es vorschlagen wurde unseres Wissens nach noch nie über einen längeren Zeitraum in unserer Region ausprobiert. Hier fehlt es an Erfahrungsschätzen in der Bewegung und natürlich auch bei uns selbst, die wir dieses Experiment wagen. Die Frage sollte daher eher lauten: Warum wurde das Konzept des Plattformismus bei uns bisher noch nie ernsthaft ausprobiert?

WÄRE EINE VEREINSGRÜNDUNG IN FORM EINES E. V. SINNVOLL?

Mit dieser Frage haben wir uns bislang nicht auseinandergesetzt. Aus dem Bauch heraus würden wir dies aber eher verneinen, da wir vom Staat angebotene Organisierungsformen ja eher ablehnend gegenüberstehen. Und wir sehen keinen Vorteil darin, den wir nicht auf anderem Wege erreichen könnten. Letztendlich sind wir dadurch doch nur leichter kriminalisierbar.


WIE KÖNNTE EURE ÖFFENTLICHKEITSARBEIT AUSSEHEN? SIND ABGESEHEN VON DER HOMEPAGE WEITERE PRESSEORGANE GEPLANT?

In unserem Text haben wir da bereits einige Ideen geäußert. Wir wollen hier vor allem Wege gehen, die in der anarchistischen Landschaft eher selten genutzt werden: Wie z.B. Videoprojekte um unsere Arbeit, Inhalte und Praxis zu dokumentieren und zu verbreiten. Das aktive nutzen von Sozialen Medien spielt für uns ebenso eine große Rolle, da hier nun mal die Masse der Menschen unterwegs ist. Und wenn in diesem Bereich kontinuierlich und professionell gearbeitet wird, ist eine große Reichweite unserer Inhalte möglich. Natürlich greifen wir aber auch auf klassische Methoden zurück. So geben wir mit unserer anarchokommunistischen Flugschriftenreihe “Kollektive Einmischung” Broschüren rund um den Plattformismus heraus. Natürlich stehen wir hier aber noch ganz am Anfang – wie in den allermeisten Bereichen. Was letztendlich entsteht, hängt von den Genoss*Innen ab, die jetzt und in Zukunft in unseren Reihen aktiv sind.

IM PLATTFORMISMUS WIRD OFT VON DER WICHTIGKEIT DES SYNDIKALISMUS GESPROCHEN, SO JA AUCH AUF EURER WEBSITE. AUCH MIT DER SCHWARZ-DIAGONALEN SYMBOLIK WEIST IHR JA AUF DEN ANARCHOSYNDIKALISMUS. WARUM ORGANISIERT IHR EUCH NICHT ALS EINE WEITERBILDUNGS-AG, EIN INSTITUT ODER EINE KULTURORGANISATION INNERHALB DER FAU SONDERN AUSSERHALB? WÄRE LETZTERES NICHT TRANSPARENTER?

Ja richtig, wir sind dem Anarchosyndikalismus verbunden und stehen ihm solidarisch gegenüber – alleine schon was die geteilte Zielsetzung einer anarchokommunistischen Gesellschaft angeht. Auch wenn wir den vorgeschlagenen Weg des Anarchosyndikalismus, über kämpferische Basisgewerkschaften teilen und ja teilweise selbst in der FAU organisiert sind, sehen wir unterschiedliche Vorteile in einer eigenständigen Organisation.

Wir denken, dass eine eigene gemeinsame Strategie mit theoretischer Grundlage nur in einer eigenen Organisierung möglich ist. Zumindest gilt dies in der Form, wie wir sie uns vorstellen. Wir denken, dass ansonsten mit der Zeit innerhalb der FAU sicherlich auch Widersprüche auftreten würden, wenn die plattform andere Positionen einnimmt als die FAU. Wir haben den formulierten Anspruch eine dritte Föderation neben der FAU und der FdA (Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen) aufzubauen. Damit unterstreichen wir auch die Ernsthaftigkeit unseres Ansatzes, eine lebendige klassenkämpferische Organisation errichten zu wollen.

Darüber hinaus wollen wir auch über klassische Gewerkschaftsarbeit hinaus wirken. Sicherlich tut das die FAU auch. Aber in der FAU wird sinnvollerweise immer ein Fokus auf Arbeitskämpfen liegen. Wir können in dieser Hinsicht vielfältiger auftreten. Dadurch haben wir eher die Möglichkeit den anarchistischen Kampf auf Bereiche wie Bildung, Viertel und Umwelt ausweiten zu können. Eine neue Organisation mit anderer Herangehensweise kann dann auch für Menschen attraktiv sein, die bisher (aus welchen Gründen auch immer) nichts mit der FAU und der FdA anfangen konnten – bzw. zumindest nicht soweit, dass sie sich bislang in diesen Kontexten organisiert haben. Das diese Rechnung aufgehen könnte, haben wir bereits von Beginn an durch das große Interesse an “der plattform” gemerkt.

In diesem Kontext verstehen wir dann auch die Frage der Transparenz nicht ganz. Nach unserem Verständnis ist es ein ganz normaler Prozess in unserer Bewegung, dass es ein lebendiges ausprobieren, kooperieren und organisieren gibt. Ganz nach dem zapatistischen Motto “Fragend schreiten wir voran”… Wir legen ja für alle öffentlich dar, wie wir uns positionieren, was unsere Ziele sind und eben auch wie unser Verhältnis zum Anarchosyndikalismus und der FAU aussieht. Wir denken für den Moment, dass wir auf eigenständiger Grundlage am meisten bewirken können. Lasst uns gemeinsam als organisierte anarchistische Bewegung in möglichst starker Zusammenarbeit dafür kämpfen der sozialen Revolution näher zu kommen!

Wir bedanken uns für die ausführlichen Antworten und wünschen euch ein glückliches Gelingen etwa durch angebotene Vorträge zu euren Anliegen.

Nähere Informationen und die Kontaktmöglichkeit für Vorträge findet ihr unter:

www.dieplattform.org

2 Gedanken zu „„Wir haben den Anspruch eine dritte Föderation aufzubauen.“ Interview mit der Direkten Aktion“

  1. Das klingt alles schon ganz gut.
    Eine Frage habe ich aber: Wieso soll gleich eine neue Föderation aufgebaut werden, anstatt einer starken, anarchokommunistischen Organisation in den bestehenden Föderationen oder in Kooperation mit diesen?

    Also vielleicht unterschätze ich eure organisatorische Stärke, aber mein Eindruck ist, dass die bisher bestehenden Föderationen es schon nicht so wirklich schaffen abzuheben. Wäre es da, um Konkurrenzsituationen zu vermeiden, nicht besser sich zusammenzutun und die eigenen Inhalte in die bestehenden Vernetzungen reinzutragen?

    Also was spricht für euch dagegen, dass die Plattform ähnlich wie Lokalföderationen wie das A-Net Südwest, eine überregionale Vernetzung mehrerer Ortsgruppen in der FdA aufmacht?
    Und gibt es eine handlungsfähige, internationale plattformistische Vernetzung der so eine Föderation sich anschließen könnte?

    1. Hi Nora,

      dank dir für die Rückmeldung! Leider sind deine Fragen zu tiefgehend als das wir sie hier beantworten wollen würden. Vielleicht kommen wir ja im Rahmen einer der kommenden Veranstaltungen, oder anderweitig ins Gespräch. 😉

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