Wir wurden nicht gefragt!

Das ist nichts neues, wir werden eigentlich nie gefragt. Trotzdem hat das in der aktuellen Situation weitaus gravierendere Folgen, als es im normalen Schulalltag der Fall ist. Wir sollen uns mit eiskaltem Leitungswasser ohne Seife gründlich die Hände waschen. Grundschüler*innen sollen Abstandsregelungen einhalten. Wir haben wochenlang keinen Unterricht gehabt und sollen jetzt zwei abiturrelevante Klausuren in der Woche schreiben. Ministerien und Behörden behaupten, sie wüssten genau, wie wir die besten Abschlusszeugnisse bekommen, was wir jetzt brauchen, um möglichst effektiv benotet werden zu können, wie wir das Versäumte am elegantesten kaschieren können. Aber wer sollte das besser wissen als die Betroffenen? Warum werden nicht wir Schüler*innen, unsere Eltern und Lehrer*innen gefragt? Wir werden von Behörden und Regierungen bevormundet, es wird über uns entschieden statt mit uns, wir werden eingeteilt und aussortiert und wenn wir viel Glück haben, werden wir aus den Medien oder von unseren Eltern über die Entscheidungen informiert. Sitzungen der Schüler*innenvertretungen werden verschoben oder fallen aus, damit ist auch die letzte (winzige) Partizipationsmöglichkeit verschwunden.

Desweiteren basiert diese Bevormundung auf keiner stichhaltigen Argumentation. Denn die gerne vorgeschobene Behauptung: „Wir handeln nur im Sinne der Schüler*innen“ ist nicht nur anmaßend, sondern auch einfach faktisch falsch. Oft wird auch behauptet, dass im Falle von nicht stattfindenden Klausuren die unterschiedlichen Abiture vielleicht von Universitäten, Hochschulen oder möglichen Arbeitgeber*innen nicht akzeptiert werden. Dass das nicht stimmen kann, liegt klar auf der Hand: bereits jetzt gibt es zwischen den Bundesländern große Differenzen in der Menge und den Zeitpunkten ihrer Abschlussprüfungen. Die einen haben Prüfungen zur Mittleren Reife, die anderen nicht. Die einen besuchen sechs Jahre die Grundschule, die anderen vier. Zu sagen, dass bei einer notfallmäßigen Abänderung der Prüfungsverfahren die Vergleichbarkeit entfallen würde, ist also nicht haltbar, da die genannte Vergleichbarkeit schon vorher nicht existierte. Das heißt, die Schüler*innen werden ohne wirkliche Argumente wieder in die Schulen geschickt und das unter Schulpflicht. Denn auch wenn manche (nicht alle!) Schulen die Schüler*innen entschuldigen, die bewusst die Entscheidung treffen das gesundheitliche Risiko nicht in Kauf zu nehmen, müssen eben jene den Stoff dann eigenverantwortlich lernen und Leistungsnachweise erbringen. Wir werden also gezwungen zu entscheiden. Entscheiden zwischen zwei Szenarien. Szenario 1: Wir gehen in die Schule und riskieren uns und unsere Familien, während wir unter dieser enormen Belastung dieselbe Anzahl Klausuren in einem viel kürzeren Zeitraum schreiben. Szenario 2: Wir entscheiden uns (falls möglich) dazu, daheim zu bleiben und erarbeiten uns den Stoff vollkommen selbst. Das wiederum hätte bei den verpflichtenden und gegebenenfalls abiturrelevanten Leistungsnachweisen einen enormen Nachteil zur Folge, da nicht nur nicht die gleiche Basis zu den in die Schule Gehenden gegeben ist, sondern die angepasste Vorbereitung komplett entfällt. Schließlich passen Lehrkräfte erfahrungsgemäß ihren Unterricht auf die Prüfungen und die Prüfungen auf den Unterricht an. Beide Szenarien enden also in einer enormen psychischen Belastung. Belastungen, die uns auferlegt werden, frei von irgendeiner Form der Selbst- oder Mitbestimmung.
Als Schüler*innen sich bei der Schulbehörde darüber beschweren, heißt es in der Antwort: “Letztlich kann auf lokaler Schulebene keine basisdemokratische Willensbildung erfolgen, da hier gesetzliche Regelungen und Vorgaben zu beachten sind. Schülerinnen und Schüler können über die gewählten Gremien ihre Wünsche und Vorstellungen äußern, ihre Beteiligungsrechte gemäß Schulgesetz wahrnehmen. Mehr ist nicht vorgesehen, auch wenn Sie das wünschen.”
Das widerliche Konstrukt des Kapitalismus mit seinem Hass auf alles Schwache und dem Drang nach Akkumulation von Kapital zeigt sich hier, wenn junge Menschen in kleinen Räumen in größeren Mengen sitzen und gleichzeitig ältere Menschen in Heimen sterben sollen. Hauptsache die Wirtschaft läuft bald wieder! Wir sollen uns nicht Zuhause, auf den Straßen oder am See mit unseren Freund*innen treffen, aber in die Bildungsfabrik gehen um für die Arbeitswelt, als Welt der Konkurrenz, zu “lernen”. Unterricht gemeinsam, aber Pausen und Schulweg sollen wir nicht in Kleingruppen absolvieren, wie einem Menschen von der Schule mitgeteilt worden ist.

Die Schulöffnungen sind nicht nur unverantwortlich, sondern auch undemokratisch und verhindern jegliche Selbstbestimmung. Deshalb fordern wir alle Schulgemeinschaften auf: organisiert euch, leistet Widerstand und setzt dem System aus Leistungszwang und Verwertung etwas entgegen!

Schüler*innen von die plattform – Anarchakommunistische Organisation