Sie sind nur älter geworden – Ruhrkumpel erinnern sich

Vor hundert Jahren: bewaffneter Klassenkampf im Ruhrgebiet

Anmoderation »Sie sind nur älter geworden«

Der Film »Sie sind nur älter geworden« erzählt die Geschichte der bewaffneten Kämpfe im Ruhrgebiet im Jahr 1920. Zur Verteidigung gegen den Putsch reaktionärer Militärs um General von Lüttwitz und den Politiker Wolfgang Kapp hatten die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung damals zu einem Generalstreik aufgerufen. An vielen Orten bewaffneten sich die Arbeiter, um den Generalstreik vor Übergriffen durch Freikorps und Reichswehr zu schützen. Im Ruhrgebiet
bildete sich eine regelrechte „Rote Ruhr Armee“.

Der Film berichtet über diese Ereignisse in erster Linie durch Interviews mit Männern, die damals in der Roten Ruhr Armee gewesen waren. Der Film bietet eine gute Darstellung des Ruhraufstandes in seinem Ablauf, die Hintergründe dieser Ereignisse werden aber kaum beleuchtet. Wie kam es dazu, dass sich spontan eine Arbeiterarmee von wahrscheinlich um die 50.000 Mann bildete? Auf welche Erfahrungen und Lernprozesse konnten die ArbeiterInnen zurückgreifen, als sie die Städte des Ruhrgebiets von den reaktionären bewaffneten Einheiten befreiten und durch eigene Institutionen, die »Vollzugsräte/-ausschüsse«, zumindest die lokale politische Macht übernahmen?

Um das zu verstehen, muss man in den ersten Weltkrieg zurückgehen: Während die SPD und die (sozialdemokratischen) »freien« Gewerkschaften im Burgfrieden auf Forderungen und Kämpfe verzichten wollten, brachten Hunger, Krankheiten, Arbeitszwang und die schlechte Versorgungslage immer mehr ArbeiterInnen gegen den Krieg auf (unter ArbeiterInnen war der Krieg ohnehin nie besonders beliebt gewesen). Sie verzichteten dafür nicht mehr auf Kämpfe um ihre Lebensbedingungen. Seit 1916 häuften sich Frauendemonstrationen, Lebensmittelplünderungen und vor allem im Bergbau wilde Streiks, die sich wellenförmig ausbreiteten. Sie stellten materielle Forderungen nach der Erhöhung von Löhnen und Lebensmittelrationen.

Zugleich entstand eine Bewegung, die »politische« Massenstreiks für den Frieden propagierte, ihr Zentrum hatte sie in Berlin. Dort wurde sie in den Betrieben von den sogenannten revolutionären Obleuten, linken gewerkschaftlichen Vertrauensleute in Metallbetrieben, organisiert. Außerhalb der Betriebe wurde sie von Mitgliedern des Spartakusbundes propagiert, der Vorgängerorganisation der KPD, die damals eine Fraktion innerhalb der USPD war. Der erste politische Massenstreik fand 1916 nach der Verhaftung von Karl Liebknecht statt, der letzte im Januar 1918. Dieser letzte Massenstreik fand sehr viel Widerhall im ganzen Reich, überall riefen vor allem VertreterInnen der linken USPD zum Streik auf und erstmals beteiligten sich auch im Ruhrgebiet viele ArbeiterInnen. Die Repression danach war massiv, viele »RädelsführerInnen« und »AgitatorInnen« wurden festgenommen, viele beteiligte ArbeiterInnen an die Front geschickt, alleine aus Lünen 250.

Für die revolutionären Obleute bedeutete diese schwere Repressionswelle, dass ein solcher »politischen« Massenstreik nur durchführbar ist, wenn die Streikenden sich schützen können. Der nächste Streik sollte also bewaffnet durchgeführt werden. Die Obleute planten einen revolutionären Massenstreik für Mitte November 1918, doch die Dynamik der spontanen Revolution, die in Kiel begann, kam ihnen zuvor: Am neunten November wurde die Republik ausgerufen, und überall bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte, die politisch meist von der SPD dominiert waren.

Beim ersten Reichsrätekongress im Dezember 1918 kamen sieben SPD-Delegierte auf zwei von der USPD. Dieser Kongress entschied drei Dinge: er wollte (1.) Parlamentarische Demokratie und kein Rätesystem; (2.) eine neue demokratische Armee statt der alten militaristischen, und (3.) die Sozialisierung der dafür »reifen« Industrien.

Die SPD-geführte Übergangsregierung, der Rat der Volksbeauftragten und die freien Gewerkschaften beschlossen währenddessen eine Fortsetzung der im Krieg geübten Kooperation mit den alten Mächten. Schon im November schlossen sie dazu Abkommen, die nach den Führungspersonen benannt sind: Ebert-Groener und Stinnes-Legien. Ziel war es, vor allem »Ruhe und Ordnung« zu bewahren und einen Putsch von links nach russischem Vorbild bzw. selbstständige und unkontrollierbare revolutionäre Aktionen der Arbeiter*innen zu verhindern. Deswegen begann die Regierung ab Januar 1919 auch paramilitärische Freiwilligentruppen gegen diese Bedrohung aufzubauen: Freikorps, die »grüne« Sicherheitspolizei (Sipo), Zeitfreiwilligenverbände, Einwohnerwehren und die Technische Nothilfe.

Sie wurden wieder und wieder gegen ArbeiterInnen eingesetzt, die für ihre Interessen kämpften. In der ersten Hälfte des Jahres 1919 gab es durchgehend große Arbeiteraktionen, bei denen die ArbeiterInnen »ihre« Organisationen vor sich hertrieben. Das waren gewichtige politische Ereignisse, sie konnten aber sie ihre regionale Beschränktheit nicht durchbrechen. Die reichsweit agierenden revolutionären Organisationen waren dazu nicht in der Lage oder wollten es nicht, die Reaktion dagegen war gut organisiert und konnte ihre Truppen mithilfe der Reichsbahn relativ reibungslos von einem Ort zum anderen verlegen.

Revolution im Ruhrgebiet

Die Revolution vollzog sich im rheinisch-westfälischen Industriegebiet ähnlich wie im Reich: Überall gründeten sich Arbeiter- und Soldatenräte, in denen tendenziell die SPD dominant war, und die sich vor allem das Ziel setzten, für »Ruhe und Ordnung« zu sorgen. Allerdings galt diese Dominanz der der Arbeiterbewegung nur für die industriellen Städte, in denen ArbeiterInnen die klare Bevölkerungsmehrheit stellten. In ländlichen Gebieten dominierten Bauernräte, und in (kleineren) Städten besonders am Rand des Ruhrgebiets übernahmen »Volks- und Soldatenräte« die die Macht. Das hieß aber meist nur die Überwachung der weiterarbeitenden alten Verwaltungsstrukturen, eigene Organe wurden kaum geschaffen.

Politisch kann man die mehrheitlich proletarischen Gebiete im rheinisch-westfälischen Industriegebiet in drei Zonen einteilen. Im südlichen Teil, den Industriestädten des bergischen Landes und dem Gebiet um Hagen, war die Sozialdemokratie schon vor dem Krieg stark gewesen. Im Krieg hatten sich hier viele Kader der USPD oder sogar dem Spartakusbund angeschlossen, besonders unter den Vertrauensleuten in der Metallarbeitergewerkschaft; dementsprechend dominierte diese Linke in der Revolution die Räte und die lokalen freien Gewerkschaften.

Im östlichen Ruhrgebiet um Dortmund konnte die SPD-Parteimehrheit im Krieg und in den ersten Monaten der Revolution die politischen Ereignisse dominieren, sie kontrollierte sowohl die Räte als auch die freien Gewerkschaften. ArbeiterInnen, die weitreichendere politische Ziele hatten, mussten außerhalb dieser Gremien nach Handlungsmöglichkeiten suchen.

Im westlichen Ruhrgebiet, besonders in den Bergbaugebieten, hatte sich die SPD schon vor dem Krieg schwer getan, richtig Fuß zu fassen, und im Krieg war die Unzufriedenheit mit der »freien« Bergarbeitergewerkschaft groß. Viele Arbeiter dachten über neue Kampfformen nach. Hier wurden syndikalistische Vorstellungen vom Arbeiterkampf zum ersten Mal dominant, und es ist nur folgerichtig, dass in Hamborn noch 1918 die Massenstreikbewegung startet, deren Verlauf die Ereignisse des Jahres 1919 dominieren sollte.

Im Unterschied zu den Massenaktionen in Berlin oder Hamburg, die immer eng mit der Frage nach der politischen Macht verbunden waren, kreisten die Kämpfe im Ruhrgebiet um die Frage, wie weit die Macht des Unternehmers über die Gestaltung der Arbeit reicht. Kann er weiterhin fast ohne Mitsprache bestimmen, wann, wie, wie lange und für wieviel Lohn gearbeitet wird, oder haben nun die ArbeiterInnen selbst das entscheidende Wort?

Dabei warteten Bergarbeiter nicht auf Kampfaufrufe durch die Gewerkschaft oder auf gesetzliche Neuregelungen, sie versuchten den Arbeitsalltag sofort zu ändern. Ihre Mittel waren Massenstreiks, die wellenförmig von Betrieb auf Betrieb übergriffen, und direkte Aktionen am Arbeitsplatz: eine verkürzte Arbeitszeit wurde nicht nur gefordert, sondern man fuhr einfach gemeinsam früher aus der Zeche aus.

In dieser Bewegung gab es deutlich nachvollziehbare Lernprozesse:

  • Verhandlungen: die Gewerkschaften verhandelten nicht, wie die Arbeiter es wollten, also übertrugen sie die Verhandlungen an den Arbeiterrat; als sie dann selbst gut genug organisiert waren, übernahmen die eigenen Leute die Verhandlungen.
  • politisches Umfeld: Die Arbeiter hatten das Gefühl, der Arbeiterrat behindert ihre Kämpfe, also sorgten sie dafür, dass er neu besetzt wurde.
  • Frage der Bewaffnung: Nach bewaffneten Angriffen auf die Streiks forderten die ArbeiterInnen die Entwaffnung der attackierenden Einheiten (vor allem Polizei oder Sipo), gleichzeitig bewaffneten sie sich selbst. Streiks und Demonstrationszüge wurden jetzt nicht mehr unbewaffnet durchgeführt. Wenn Streikende mitbekamen, dass in der Umgebung eine bewaffnete Einheit (Freikorps oder Sipo) einrückte, schickten sie bewaffnete Gruppen los, um den Angegriffenen zu helfen. So kamen ganze Verbände zusammen, bei einem solchen Ereignis 1919 kam das erste mal der Begriff »rote Armee« auf. Oft kam es aber nicht so weit, weil die Arbeiter- und Soldatenräte versuchten, die Konfrontationen zu verhindern und die Arbeiter zu befrieden.

Die Entwicklung von großen Massenstreiks und -aktionen von unten missfiel der SPD-Regierung und Reichswehrführung, ab Februar versuchten sie, mit dem Einsatz von Freikorps, diese Dynamik zu beenden. Dabei wurde immer mehr Gewalt eingesetzt – vor allem zur Unterdrückung der Generalstreiks im Bergbau im Februar mit 180.000 Streikenden und im April mit 370.000 Streikenden.

Das Ruhrgebiet wurde durch Freikorps besetzt, die Lebensmittelzufuhr für Streikgebiete beschnitten und die Rationen für nichtstreikende Gebiete erhöht – zu einer Zeit, als die Lebensmittelversorgung ohnehin sehr schlecht war.

Dadurch konnten die Streiks beendet und die Entwaffnung der Arbeiter durchgesetzt werden. Viele angebliche oder wirkliche »Streikführer« wurden verhaftet, Zeitungen und Versammlungen verboten. Trotzdem hörten die Arbeiter nicht auf zu kämpfen: Da offene Streiks im Belagerungszustand unmöglich wurden, verlegten sie sich auf Verweigerung der Arbeit an der Arbeitsstelle ohne Verlassen des Betriebes, Scheinarbeit und Sabotage. Gleichzeitig wurden überall neue revolutionäre Gewerkschaften bedeutsam, sogenannte »Unionen«; die wichtigste von ihnen war die schon vor dem Krieg gegründete syndikalistische Freie Vereinigung. Sie schloss sich Mitte 1919 mit eher rätekommunistisch geprägten Unionen zur Freien Arbeiter Union (FAUD) zusammen. Jedoch scheiterte diese Vereinigung schon Ende 1919. Danach war die FAUD eine klar anarchosyndikalistische Gewerkschaft. Im Frühjahr 1920 gehörten ihr etwa 150.000 ArbeiterInnen an, die meisten davon im Ruhrgebiet.”

Der Widerstand der ArbeiterInnen war nicht gebrochen, aber die Zahl der bewaffneten Einheiten im Ruhrgebiet als demilitarisierte Zone war begrenzt. Daher zog die Regierung die repressiven Stellschrauben weiter an:

Auf Betriebsebene wurde die Verhaftung von »Hetzern« und Aussperrungen angeordnet; Belegschaftsversammlungen und die Bildung von Streikausschüssen und Streikposten wurden verboten; unliebsame Arbeiter wurden zu Notstandsarbeiten geschickt und bei Weigerung (oder Aufruf dazu) verhaftet. Bewaffneten Truppen erzwangen im Schacht das Verfahren der Schichten. Die Regierung ordnete Überschichten an, die zwar mit Geld und Essen vergütet wurden, aber den Arbeitern die wichtigsten Zugeständnisse ihrer Kämpfe seit der Revolution wieder nahm: die Verkürzung der Schichtzeit und die Beseitigung der Zwangsüberschichten.

Gesellschaftlich
wurde im Januar 1920 der Ausnahmezustand im ganzen Reich verhängt mit Ausnahme von Baden, Württemberg, Bayern und Sachsen. Damit wurde dem Militär die reale Macht übergeben. § I setzte fast alle Grundrechte bis auf weiteres außer Kraft: das Grundrecht der persönlichen Freiheit, der freien Meinungsäußerung einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechtes, des Post- und Telefongeheimnisses, der Unverletzlichkeit der Wohnung und der Unantastbarkeit des privaten Eigentums. Nach § 2 ging die vollziehende Gewalt auf den Reichswehrminister über, der sie auf einen Militärbefehlshaber übertragen konnte. In Düsseldorf, Wesel und Essen wurden Kriegsgerichte errichtet.

Die bewaffneten Einheiten erhielten Befehle wie diesen: »Grundsatz: rücksichtslos im Keime ersticken … Rücksichtsloser Angriff gegen revoltierende Banden und Volkshaufen, am besten von mehreren Seiten… Energischer Waffengebrauch. Wer sich mit der Waffe entgegenstellt, wird niedergeschossen, desgleichen wer der Verhaftung Widerstand entgegensetzt.« Oder diesen: »Schreck- oder Warnungsschüsse haben sich als … schädlich erwiesen. … Also sofort scharf schießen und gut treffen! Rücksicht auf Frauen und Kinder natürlich soweit möglich. … Hat der angreifende Spartakistenhaufen gleich im Anfang furchtbare und empfindliche Verluste, so werden größeres Blutvergießen und schwere Kämpfe meist verhindert. Also gleich scharf zielen auf den Mann – gut treffen.«

Schon vor dem Kapp-Putsch glich die Situation einer Militärdiktatur, die die erkämpften Rechte (Pressefreiheit, Organisationsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Streikrecht, …) Stück für Stück wieder zunichte machte.

Der Kapp-Putsch

Ein Teil der Militärs hielt dennoch einen Putsch für nötig, vor allem, weil er die im Versailler Friedensvertrag vereinbarte Verkleinerung der Reichswehr auf 100.000 Mann und die Auflösung der paramilitärischen Einheiten (Freikorps, Sipo, Einwohnerwehren, Zeitfreiwillige, Technische Nothilfe) nicht akzeptieren wollte. Doch der Putsch war schlecht vorbereitet und hatte kaum Unterstützung in der Bevölkerung. Die Regierung konnte fliehen, am Generalstreik gegen den Putsch beteiligten sich zum Höhepunkt über zwölf Millionen ArbeiterInnen.

Nach den Erfahrung der vorherigen Jahre war klar, dass ein politischer Streik alleine nicht reichen würde: An vielen Orten im Reich bewaffneten sich Arbeiter und schlossen sich in Arbeiterwehren zusammen. Sie wählten oder setzten Aktionsausschüsse oder Vollzugsräte ein. Den meisten ArbeiterInnen ging es nicht nur um die Rettung der alten Regierung, wie selbstverständlich erwarteten sie eine Fortsetzung der Revolution; zumindest die alten Forderungen nach Demokratisierung der Reichswehr und nach Sozialisierung der Betriebe sollten jetzt durchgesetzt werden.

Nach vier Tagen brach der Kapp-Putsch zusammen, aber das das Verhalten der bewaffneten Macht gegen die ArbeiterInnen änderte sich nicht. In Berlin, Mecklenburg und Pommern wurden zwar die Befehlshaber der Truppen ausgetauscht, aber sie gingen weiter gegen die Arbeiter vor, jetzt sogar mit noch mehr Todesopfern. Der verschärfte Ausnahmezustand blieb bestehen, teilweise wurde aber das Standrecht zurückgenommen. Die Front der ArbeiterInnen zerbröckelte aber langsam; SPD, freie Gewerkschaften und andere Gewerkschaften setzten sich zunehmend für ein Ende des Generalstreiks ein, obwohl es keine weitergehenden Zugeständnisse gab.

Die SPD drängte ihrer Anhänger, aus den bewaffneten Arbeiterwehren auszutreten und die Waffen abzugeben. Das wiederum brachte oft auch USPD und KPD dazu, zum Ende des Generalstreiks und Waffenabgabe aufzurufen. Der letzte bewaffnete Widerstand wurde nach und nach besiegt; die Reichswehr konnte hier ihre wiedergewonnene Mobilität per Bahn ausnutzen. Am 24.3. waren Generalstreik und bewaffneter Widerstand fast überall außerhalb des Ruhrgebiets gebrochen.

Widerstand im Ruhrgebiet
  • Nach dem Bekanntwerden des Putschs waren die Abläufe im Ruhrgebiet zunächst ähnlich wie im restlichen Reichsgebiet: Funktionäre der verschiedenen Organisationen der Arbeiterbewegung kamen zusammen, bildeten Aktionsausschüsse und riefen den Generalstreik aus. Die Aufrufe täuschten eine einheitliche Position vor und übertünchten die politischen Differenzen der beteiligten Organisationen.Die Masse der ArbeiterInnen stellte vor allem zwei Forderungen, sobald sie die Betriebe verlassen hatten und auf der Straße zusammen kamen: Sie wollten Waffen, um sich vor der lokalen Reaktion (Sipo und Einwohnerwehren) zu schützen, egal ob putschistisch oder nicht; Freilassung der politischen Gefangenen (also vor allem bei Streiks und anderen Kampfaktionen Verhafteten). Das konnten sie meist auch durchsetzten, in der Folge wurden Arbeiterwehren aufgestellt, die (blaue) Polizei entwaffnet und die Verwaltung unter die Kontrolle des Vollzugsrats gestellt.Aus Münster wurden Freikorpseinheiten ins Ruhrgebiet geschickt. Arbeitereinheiten aus dem ganzen Umland versammelten sich, um am Ort des Einmarsches zu helfen. Aus dieser erst ungeordneten Solidarität bildete sich die Rote Ruhrarmee heraus. Sie war eine reine Arbeiterarmee – im Unterschied zur namensgebenden sowjetischen Roten Armee, deren Führung fast komplett aus dem alten zaristischen Offizierskorps bestand, überwacht durch politische Kommissare. Ihre Geschichte wird im Film gut beschrieben, deswegen gehe ich hier nicht weiter darauf ein.Noch zwei Bemerkungen zur Märzrevolution im Ruhrgebiet:
  • War es eine Revolution?: Heute wollen viele linke KommentatorInnen den Ereignissen im März das Etikett Revolution absprechen; zu wenig sei politisch und sozial verändert worden. Mir erscheint diese Position merkwürdig. Im Unterschied zu den revolutionären Arbeiterkämpfen der vorangehenden eineinhalb Jahre war dies ein Versuch, die politische Macht zu übernehmen. Die durch eine eigene bewaffnete Macht geschützten Aktionsausschüsse ergriffen politische Maßnahmen, die sogar teils den lokalen Rahmen durchbrachen: Kontrolle der Stadtverwaltung, besonders der Polizeiführung, und Kontrolle des Nachrichtenwesens, also Telefone, Zeitungen. Sehr wenige extrem reaktionäre Zeitungen wurden verboten, linke (bisher verbotene) Zeitungen wieder erlaubt. Es wurde eine Pressezensur eingeführt, die aber nur sehr wenig zensierte. Daneben wurden im Unterschied zur Zensur im Krieg die zensierten Stellen durch Lücken sichtbar gemacht.
    Die ArbeiterInnen versuchten, die Lebensmittelversorgung gerechter zu organisieren, verhinderten Mieterhöhungen und Wohnungskündigungen, zwangen Betriebe, durch den Generalstreik ausgefallenen Lohn zu zahlen und schränkten die Handlungsmöglichkeiten der Polizei ein. Veränderungen blieben allerdings auf Institutionen und Bereiche beschränkt, die dem Erfahrungsbereich der ArbeiterInnen am nächsten lagen, gegenüber der Justiz verhielten sie sich z.B. passiv.
    Das Fehlen tiefergehender Eingriffe ist nicht das Hauptproblem, denn in knapp drei Wochen kann man große Veränderungen auch gar nicht erwarten. Problematischer ist, dass es offenbar keine richtigen Ideen gab, wie eine revolutionäre Umwälzung aussehen könnte und die Diskussion darüber auch nicht geführt wurde. Die Erfahrungen mit den bisherigen eineinhalb Jahren Revolution wurden nicht (öffentlich) ausgewertet.
  • Die Rolle der Frauen: Auch wenn Frauen bisher nicht explizit erwähnt worden sind, spielten sie eine Rolle im Widerstand gegen den Kapp-Putsch. Zwar durften sie (im Unterschied zu den Januar- und Märzkämpfen 1919 in Berlin) nicht mitkämpfen, aber zehntausende Arbeiterfrauen meldeten sich als Krankenschwestern zum Fronteinsatz. In den Vollzugsräten spielten Frauen kaum eine Rolle, hier fand sich dieselbe Handvoll Politikerinnen, die auch schon an den Arbeiterräten 1918 beteiligt gewesen war.
    Das hinderte die Reaktion aber nicht, auch gegen Frauen vorzugehen. Viele Krankenschwestern wurden durch den »weißen Terror« ermordet, in der Phase anschließender juristischer Repression wurden viele Frauen verurteilt, die Duisburger KPD-Politikerin Rosi Wolfstein sogar als »Führerin«.
    Eine letzte abschließende Bemerkung: Im Film spricht Anton Kalt als Mitglied der Roten Armee. Er ist ein Beispiel dafür, wie sich die Erfahrungen aus der der Märzrevolution auch nach der Niederlage fortsetzten: Er bliebt in der KPD aktiv, wo er sich besonders in der Kulturarbeit engagierte und in einer Varietégruppe mitwirkte. 1933 wurde er verhaftet und misshandelt, er saß bis 1937 im KZ Esterwege. Im Juni 1945 verhinderte er Verteidigungsmaßnahmen in Aplerbeck und wird als Bürgermeister eingesetzt. Er richtete einen Ortsausschuss ein, der unter anderem eine neue unbelastete Polizei aufbaute, ganz nach den Erfahrungen 1920. Im Juli wurde er von den Briten aus dem Amt gehoben und für 14 Tage inhaftiert.